Pierluigi Billone
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TA (2005)

für Ensemble
Auftragswerk des Westdeutschen Rundfunks

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aus dem Italienischen von Kornelia Bittmann


Der Einschwingvorgang

Beim Kontakt mit einem Instrument (einer Posaune zum Beispiel) tritt der ganze Körper in ein Spiel von Beziehungen ein, die mir unbekannt sind. Hier erprobe ich eine Distanz, die nicht diejenige des Hörens ist, sondern die des Kontakts und der Korrespondenz.

Das Instrument in meinen Händen ist ein unbekanntes Ding, vollkommen geheimnisvoll und daher reglos, noch ohne Stimme. Der Körper und das Ding müssen ihr Gleichgewicht noch finden, sich in Einklang bringen. In diesen Versuchen begegnet mir das, was die Entstehung von Schwingungen ermöglicht, noch bevor etwas als Klang/Geräusch definiert werden kann/muss und in eine musikalische Dimension eingeschlossen oder aus dieser ausgeschlossen wird und noch bevor die endgültige Beherrschung einer Technik diese anfängliche Erfahrung in sich versteckt hat.

Das freie Erproben der Distanz, die das unbestimmte Schwingen eines Gegenstands und die Erscheinung eines Klangs trennt/verbindet, erfordert unsere gesamte Aufmerksamkeit, unsere Fähigkeit zur Anpassung des Atems und der Motorik, zum unmittelbaren Verständnis der Natur und des Instrument-Dings, etc.: gänzlich.

Das Erlebnis dieses unbestimmten Schwingens und der überwundenen Distanz bleiben im Hören aufbewahrt: als Bewusstsein, dass sich eine Vibration immer von einem Hintergrund abhebt und jedes Mal einen eigenen und einzigartigen Raum der Existenz in der Materie öffnet, der sich in einem bestimmten Gleichgewicht mit dem Körper befindet. (Dabei handelt es sich nicht um ein verstandesmäßiges Bewusstsein, sondern um eine lebendige Schicht des Wissens, so wie sich das einmal erlernte Gehen in jedem Schritt wieder ereignet, auch wenn wir nicht mehr darüber nachdenken.)

Wenn mir Musik begegnet, dann höre und sehe ich, nehme teil mit Mund, Hand, Körper, Gedanken, gänzlich. Ich bringe mich in Einklang (oder auch nicht) mit dem, was in meiner Gegenwart geschieht. Meine lebendigen Fähigkeiten öffnen mich auf unbestimmte Weise gegenüber dem Hintergrund, von dem sich jede Musik abhebt, ich nehme den offenen Raum wahr, den sie anbietet, oder den geschlossenen Kreis, aus dem sie entstanden oder durch den sie begrenzt ist.

 

Der Klang

Wenn ich mich im Kontakt mit dem Instrument vollständig öffne, begegnet mir jedes Mal seine unbekannte Stimme und eine mir bisher unbekannte Fähigkeit der Aufmerksamkeit. Wenn mir ein traditioneller Klang begegnet, handelt es sich um eine der vielen möglichen Erscheinungen des Klanghorizonts und damit um eine Stimme, die ebenso unbekannt ist wie die anderen. Nicht, wenn ich das Instrument höre, sondern wenn ich es spiele (und nur so begegne ich ihm). Mein Körper weiß noch nichts von diesem Klang, auch wenn er ihm immer schon und auf tausenderlei Weisen nahe war in der Distanz des Hörens.

Ich kann ihn nicht mechanisch reproduzieren, ich weiß nicht, welche Handlungen meines Körpers ihn verändern, ich kann ihn nicht artikulieren, ich kenne die Natur und die Funktionsweise des Instruments nicht und kann daher Handlung und Ergebnis nicht in Beziehung setzen, usw.: ich weiß absolut nichts.

Zwischen diesem vollständigen Fehlen eines gezielten Bewußtseins und meiner vollständigen Vertrautheit mit dem Hören des traditionellen Klangs gibt es eine Leerstelle (die keine Erklärung füllen kann).

Wer nie versucht hat, ein Blas- oder Streichinstrument zu spielen, wird es vielleicht nicht verstehen und misst dieser elementaren Erfahrung (die das Klavier leicht vergessen lässt) keinen Wert bei. Der Klang, den die Tradition uns übermittelt hat, ist eine der stärksten Stimmen, die in meinem Innern sprechen, noch bevor ich sie wahrnehme.

Wenn er nicht verändert wird, bleibt er das offensichtliche oder versteckte Zentrum (oder ein Hindernis), auf jeden Fall ein obligatorischer Bezugspunkt.

Aber wenn ich ihm auf einem Weg begegne, bei dem ich mir des Entdeckens und Lernens bewußt bin, ändert sich die Perspektive. Einerseits zwingt mich nichts, mich auf den traditionellen Klang zu konzentrieren, als sei dieser das einzige zu erreichende Ziel, und aus ihm ein privilegiertes Zentrum zu machen, auf das sich alles andere bezieht. Andererseits hat meine Sensibilität mir bereits gesagt, dass ich einen breiteren Horizont brauche und diesem auch schon anhänge—sonst hätte ich nicht Hand an das Instrument gelegt.

 

Der Mehrklang

Wenn ich bewusst eine mir bisher unbekannte Instrumentaltechnik entwickle, bis ich sie beherrsche (z.B. Klang und Stimme zugleich in der Posaune) öffnet sich gleichzeitig ein Raum in mir. In diesem Fall stellt mich der doppelte Klang, der entsteht (und dessen Existenz nicht von den Händen abhängt, wobei ich auch nie wissen werde, welches technische Phänomen sich ereignet), vor den besonderen Beweis einer Beziehung: das Instrument und ich, wir sind nicht unterscheidbar. Diese Erfahrung verändert meine Beziehung zum Klang: alles „spricht” zu mir als „Klang, der den Körper” und als „Körper, der den Klang öffnet-schreibt”. In einem Mehrklang des Fagotts z.B. ist es oft unmöglich zu erkennen, aus welchen Klängen er zusammengesetzt ist, welches Gewicht sie haben und welche Rolle sie spielen. Es ist wie bei einem Sternbild (den Pleiaden z.B.), bei dem die allgemeine Leuchtkraft und das Hervortreten der unmittelbar erkennbaren Sterne von den Sternen des Hintergrunds abhängt, die man jedoch nicht erkennen kann.

Es ist ein einzigartiger Zustand des Gleichgewichts zwischen verschiedenen Schwingungen: Sobald ich ihn manipuliere, um einzelne Stimmen zu isolieren, verändert er sich.

Solange in mir keine entsprechende Aufmerksamkeit entsteht, weiß ich nicht, wie ich in eine nähere Beziehung mit diesen Schwingungen treten soll (außer indem ich sie mit meiner Kompositionstechnik wie ein Klangobjekt manipuliere...).

Wenn sich schließlich diese Fähigkeit zur Aufmerksamkeit einstellt, hat sich meine Art zu hören verändert. Jedweder Klang (auch der einfachste und vertrauteste) enthüllt nun eine Dimension, Pole, und, davon untrennbar, ein „Inneres” mit rhythmischem Raum und Eigenleben, ein „unbekanntes Inneres, das sich öffnet”, ein „Dahinter” das man nicht unmittelbar wahrnehmen kann, eine einzigartige „Dis/Homogenität”, die stets eine Präsenz mit mehreren Schichten ist, bekannten und unbekannten.

Auf diese Weise begreife ich, dass der traditionelle Klang (der mir nun vollkommen anders und ungewöhnlich erscheint) in mir stets einen enormen Raum der Hörfähigkeit blockiert hat.

Meine allgemeine Sensibilität gegenüber der Distanz von den Dingen, mit denen ich in Beziehung stehe—und die stets eine Stimme zu haben scheinen, die mich betrifft—hat sich verändert.

 

TA

Hier ist der *Gesang überall, und damit die plastische Spur der Arbeit mit Händen und Mund.

Das fallende Metallstück gehört vollkommen dem rhythmischen Leben des Ganzen an. Die Hand, die das Metallstück ergreift, beschränkt sich jedoch darauf, es aufzunehmen und es fallen zu lassen, ohne den Fall und seine Folgen zu beeinflussen.

Es ist wie bei einem Baum, der auf dem Land die Grenze zwischen zwei Feldern anzeigt und doch zu beiden gehört. Meine ganze Bewunderung und mein besonderer Dank gelten Lorelei Dowling (Fagott), Andreas Eberle (Posaune), Krassimir Sterev (Akkordeon) und Christoph Walder (Horn) vom Klangforum Wien für die kostbaren Momente der gemeinsamen Arbeit.